Neue Züricher Zeitung


Jeden Tag steht ein Dichter auf, der Zeugnis abgelegt von der Zeit. Der unerbittliche Ernst dieser Bekenntnisse ist vielleicht der Erbe des Naturalismus, das Horizonthafte vielleicht das des Symbolismus, und beides entstammt gewiß dem Gegenwartsgehalte: dem Ethos, dem tiefen Drange nach Ehrlichkeit gegen sich, und dem schwingenden Bewußtsein einer anbrechenden Epoche. Das verleiht jedem Gesang den dröhnenden, jauchzenden Grundakkord, der jetzt und einst zum Erkennungszeichen wird. – Der Antrieb geschieht durchaus vom Leben. Die Skala steigt von Ekel zum Erdenjubel, zum Hymnus, zur Ekstase. Charakteristisch oft im gleichen Gedicht. ("Es hat ein Gott mich ausgekotzt ...") Der Zufall der Umgebung, persönliche Erfahrungen und qualvoll bewegte Sinne machen es wohl, daß Klabund sich häufig im unteren Teil der Skala bewegt. Sein Zynismus ist unanfechtbar, weil irgendwie einem Leide untertan; und dieses Leid wiederum wächst zu elementarer Leidenschaft, etwa im "Föhnlied" mit dem wilden naturgebundenen Klang. Aufgehellt erscheinen "ironische Landschaften". – Er begibt sich aller Waffen, dann gestaltet seine Kunst auf dem breiten Grunde menschlicher Hilflosigkeit düstere Klage. ("Nebel") Er kostet die bitteren Melancholieen der Prostitution. Die Benachteiligten, "Der Blinde", "Der Greis" sprechen. Sein Kunstvermögen erlaubt jeden Stoff. Vom Dunkel findet er in die Weite (ESternschnuppem"), er hebt sich zur Höhe ("Der Turm"), und ihm bricht das Licht an ("Der Springbrunn"): ... "Wasser stieg auf, Glanz fällt zurück." — Morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern!, 1917

vom Jahr 1913

Neue Züricher Zeitung

Quelle: aus den Werbeseiten des »Klabund's Karussell«, 1914

nach oben

(c) 2009-2022 - Alle Rechte vorbehalten
Jürgen Sesselmann (mayer)
Zur Nutzung meiner Lieder und Geschichten